Aktuell ist es Usus, für Vollzeit-arbeitende 40 Stunden die Woche zu arbeiten. Bei Selbstständigen geht die Tendenz sogar Richtung 50 Stunden. Gleichzeitig steigen die Burn-out-Erkrankungen in Deutschland stetig an. Dabei gibt es ein alternatives Modell: Die Arbeitszeit reduzieren. Im ersten Moment klingt das nach einer fernen Utopie. Nur noch 30 Stunden arbeiten – und dann? Was ist mit Workload, Gehalt und Wettbewerbsfähigkeit? Ein genauerer Blick auf die Idee hinter dem Konzept kann jedoch überzeugen.
Branchenabhängige Entschleunigung
Die erste entscheidende Frage ist: Um welche Arbeit handelt es sich? Denn in vielen Bereichen (zum Beispiel online Marketing), führt eine Reduktion der Arbeitszeit nicht zu weniger Produktivität. Ganz im Gegenteil. Bereits im Jahr 2005 konnte aufgezeigt werden, dass die europäischen Länder mit der niedrigsten Anzahl durchschnittlicher Wochenstunden die höchste Produktivität haben.
Persönliche Erfahrungen können das bestimmt bestätigen. Häufig wird in kürzerer Zeit das Gleiche, wenn nicht sogar mehr geschafft. Die Produktivität steigt also, während die Dauer der Arbeit sinkt. Damit ist in vielen Sektoren auch die Sorge vor Gehaltskürzungen hinfällig. Schließlich werden die gleichen Ergebnisse erzielt, das Einkommen muss also nicht verringert werden.

Diese Produktivitätssteigerung geht aber natürlich nicht immer. Hier gilt es Anpassungen vorzunehmen und für Branchen, in denen sich die gleiche Arbeit nicht einfach in weniger Stunden machen lässt, einen Lohnausgleich einzuführen. Also eine Erhöhung des Gehalts um 25 %. Gerade für Menschen mit geringerem Einkommen ist das besonders relevant. Dies würde zwar die Produktion deutlich teurer machen, ermöglicht allerdings auf der anderen Seite mehr Arbeitsplätze. Und das ist gut. Denn der Staat profitiert von Erwerbsarbeit: Stichwort Einkommenssteuer.
Auf der anderen Seite ermöglicht viel Arbeit dem Individuum mehr Konsum, weswegen es für viele erstrebenswert ist, 40 Stunden und mehr in einer Woche unterzubringen.

Ich arbeite, also bin ich
Beim Thema Workload kommt allerdings noch ein weiterer Aspekt hinzu: Status. Unsere Gesellschaft hat es zu einem Grundsatz gemacht, dass Erwerbsarbeit mit einem hohen Zeitaufwand (und hohem Gehalt) die Reputation fördert. Dahinter steckt unter anderem der Fokus auf stetigem und unaufhörlichem Wachstum. Denn eigentlich hätten wir genug Hilfsmittel, um Arbeit zu reduzieren und effektiver zu machen. Ein Beispiel ist die Digitalisierung, die vieles vereinfacht. Sie führt derzeit aber auch dazu, dass weniger Arbeitszeit benötigt wird. Im Sinne des Wachstumsmindsets, müssen dann an anderen Stellen neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das wird auch als Produktivitätsfalle bezeichnet. Die Idee der 30-Stunden-Woche könnte dem entgegenwirken. Dann müsste aber auch das Konzept des wirtschaftlichen Wachstums hinterfragt werden. Wachstum wäre dann eine Möglichkeit und kein Zwang mehr. An dieser Stelle wird es jetzt aber sehr ökonomisch.
Individuelle Vorteile
Weniger kompliziert wird es auf persönlicher Ebene. Hier zeigen sich durchweg positive Folgen des Konzepts: Ein paar Unternehmen haben das 30-Stunden-Modell auch bereits eingeführt – mit großem Erfolg. Nicht nur der Stress wird reduziert, es schafft auch mehr Zeit für Familie, Freizeit und Soziales. Besonders den jüngeren Generationen ist das wichtig. In Zukunft kann also durchaus damit gerechnet werden, dass ein Wandel in der Arbeitswelt stattfindet. Dass die durchschnittlichen Arbeitsstunden ist Deutschland seit mehreren Jahren rückläufig sind, steht auf jeden Fall dafür.